Reflexion über die Lage – von Marlene Klaus
- Kathrin Lange
- 2. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 2 Tagen
Dunkelheit senkt sich herab in mein Gemüt. Schwere.
Deutschland.
Die Welt.
Ich lese „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ des Universalhistorikers Yuval Noah Harari und verstehe, wo Homo sapiens herkommt, wie er es im Laufe von Jahrtausenden schaffte, die Erde untertan zu machen, Ökosysteme zu zerstören, Lebewesen auszurotten und die eigene Spezies zu Milliarden in Kriegen und Eroberungszügen abzuschlachten. Ich erschrecke über die grausamen Wahrheiten dieses Werdegangs.
Ich nehme an einem Online-Programm teil, das sich den Entwicklungsstufen der Menschheit widmet, und verstehe, warum wir kollektiv und individuell handeln wie wir handeln.
Und auf einer tiefen Ebene empfinde ich dieses Weh, das trotz der kognitiven Erklärungsmodelle nicht verschwindet.
Werte, die ich vertrete, Moralvorstellungen, die ich habe – die Mehrheit der Menschen teilt sie nicht, will mir scheinen. Immer wieder versuche ich, mich vom Gegenteil zu überzeugen: Tausende gingen auf die Straßen. Tausende in vielen kleinen und großen Gruppierungen setzen sich ein für Gleichberechtigung und Menschenrechte, für Frauenrechte, für das bedingungslose Grundeinkommen und gerechte Steuerpolitik.
Wir sind viele, sage ich mir. Manchmal hilft es. Manchmal nicht.
Neulich sonntags saß ich beim Stammtisch mit zehn Nachbarinnen und Nachbarn zusammen. Einige von ihnen haben andere Ansichten als ich. Das war bisher nie eine große Sache für mich. Plötzlich wurde sie es. Unwohlsein und Misstrauen brummten in mir. Erstmals fragte ich mich, welche Partei sie wohl wählen.
Am Abend desselben Tages fand das Online-Treffen mit meinen „Rainbow Ladies“ statt. Wir haben uns über die Arbeit einer Wissenschaftlerin kennengelernt, die sich damit beschäftigt, wie Gedanken, die wir aussenden, bei Menschen, Tieren und Dingen Positives bewirken können. Seit mehr als einem Jahr versammeln wir uns monatlich zu einer Art weltlichem Gebet, um uns für das Wohl des Planeten einzusetzen. Wir sind international, kommen aus den USA, Belgien, den Niederlanden, Rumänien, Deutschland. Als wir uns gedanklich darauf ausrichteten, dass die kommenden Wahlen in Deutschland in Frieden und Einheit im deutschen Parlament und im Land münden, brach etwas in mir auf. Tränen schossen mir in die Augen. Mir wurde klar, wie sehr ich mich Deutschland verbunden und zugehörig fühle und wie sehr ich mir Frieden, Ehrlichkeit und gute Werte und einvernehmliches Einstehen für diese wünsche. Das hatte ich vorher nicht gewusst. Es machte mich traurig. Dunkelheit und Schwere senkten sich herab. Ich saß da mit diesem Gefühl. Später wandelte es sich zur Klarheit: Ich lebe in diesem Land und dessen Bevölkerung denkt so, wie sie gewählt hat. Ich kann die Menschen nicht ändern. Ich kann jedoch den guten, visionären, ermutigenden Kräften in mir folgen. Ich bin da und stehe für sie ein. Ich zünde meine Kerze an, damit sie die Dunkelheit erhelle.
Und ja, wir sind viele.
Über die Autorin
Marlene Klaus, Jahrgang 1960, wohnhaft in Hockenheim, ist von Haus aus Buchhändlerin, war jedoch auch schon als Taxifahrerin, Kellnerin und Postbotin unterwegs. Lange arbeitete sie in einer Stadtbibliothek. Im Sommer 2024 zog es sie als Allrounderin in ein Seebad in der Schweiz.
Neben Beiträgen in Anthologien veröffentlichte sie sechs historische Romane. Für ihren Erstling „Beschützerin des Hauses“ erhielt sie 2006 ein Arbeitsstipendium des Förderkreises deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg.
Marlene Klaus gehört seit Langem der regionalen Autor*innengruppe LeseZeit an (https://www.wolkengeschichten.de/Lesezeit/). Hier geht es zu einem Video mit Leseprobe von ihr: https://www.youtube.com/watch?v=LQGdt_cOfUg
Weitere Infos unter www.marleneklaus.de
Comentarios