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Morgen ist ein neuer Tag

  • Susanne Beck
  • 5. März
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 6. März

Vier Tage ist sie nun her, die Wahl. Eine Wahl, wie ich sie bisher noch nicht erlebt habe. Die ernsthafte Gefahr des Faschismus wird mit jedem Tag realer, seit einigen Jahren schon, aber besonders in den letzten Monaten. Schon weil weltweit der Rechtsruck spürbar ist, seit Januar Donald Trump in seiner zweiten Amtszeit die US-amerikanische Demokratie Stein um Stein dem Erdboden gleichmacht. Noch nie seit ich politisch etwas mitbekommen habe – mein erstes großpolitisches Ereignis war der Fall der Mauer, fast zynisch, dazu gleich – herrschte so viel Angst.

Zum einen die vor allem von Medien geschürte Angst vor den als Sündenböcke erkorenen „Migranten“, vor der Deutschland angeblich zerstörenden „Ampel-Koalition“, vor hässlichen Windrädern oder unsere Privatvermögen vermeintlich aufzehrenden Wärmepumpen. Zum anderen die Angst, die die Menschen in meinem Umfeld umtreibt: Angst vor den hart erkämpften Rechten marginalisierter Gruppen. Angst vor der Schwächung des Rechtsstaats. Angst vor den immer weniger neutralen Medien. Angst vor dem Verlust der Welt, wie wir sie kennen – dabei war doch diese Utopie noch lange nicht zu Ende geträumt …

Dann der Wahlabend.

Ich saß vor dem Fernseher, und mit jeder Hochrechnung wuchs der Knoten in meiner Magengrube. Ein Gefühl wie nach einem langen, dunklen Traum, aus dem man erwacht und merkt: Die Angst war nicht eingebildet. Sie ist real.

Das Ergebnis hat mich nicht überrascht, es hat niemanden überrascht, den ich kenne. Ziemlich genau wie vorhergesagt, mit den ein oder anderen positiven und negativen Aspekten.

Positiv – oder zumindest versuche ich mir das einzureden: FDP raus, BSW raus, die Grünen deutlich weniger abgesackt als befürchtet und als die anderen beiden Ampel-Parteien.

Negativ: Ein Fünftel der Deutschen wählt eine in Teilen rechtsextreme Partei. In einigen ostdeutschen Bundesländern liegt die AfD deutlich höher. Keine Überraschung und dennoch unerträglich, bei jedem Gedanken daran.

Es lähmte mich für mehrere Stunden, Tage, als mir bewusst wurde: Diese Menschen – nicht wenige, keine Randgruppe, sondern Millionen – haben diese Wahl bewusst getroffen. Sie wussten, wofür diese Partei steht. Und haben es trotzdem getan.

Die CDU schneidet zwar schlechter ab als erwartet, und das freut mich, weil es die Quittung ist für das unsägliche Verhalten der aktuellen Spitze. Mit anderem Personal hätten sie sicher mehr geholt. Aber das werden die nicht reflektieren.

Eine Nacht lang war ich ruhig, konnte wieder schlafen. Denn aus der schwelenden Angst ist eine klare Gewissheit geworden: Diese Menschen werden die nächsten Jahre Deutschland leiten, uns durch diese unsicheren Zeiten steuern. So ist es jetzt eben.

Doch nicht einmal vier Tage später kommt die Angst zurück.

Angst davor, dass die CDU keine Veränderung bringen wird, jedenfalls nicht die, die es bräuchte. Angst davor, dass ihre Versprechen leere Worthülsen sind, sie wanken wird, noch weiter nach rechts, wenn es ihre Macht sichert. Dass sie die Tür aufstoßen könnte für eine Koalition, die lange undenkbar schien. Dass die Normalisierung der AfD nicht endet.

Diese Angst schwingt nicht mehr nur in den Nachrichten mit oder in abstrakten Statistiken. Sie sitzt in meinem Bauch, pocht in meinem Kopf, macht es schwer, Luft zu holen. Ich höre Gespräche in Cafés, an Supermarktkassen, auf der Straße – als wäre das alles normal. Als wäre es nichts. Als hätte man sich daran gewöhnt.

Vier Tage, und schon bestätigt sich vieles:

Markus Söder postet ein Foto von einer Beratung der Union: sechs weiße alte Männer, die nun über das Schicksal des so bunten, eigentlich doch so wunderbar vielfältigen Deutschlands entscheiden. Gruselig. Verstörend.

Die erste Verlautbarung, was dringend geändert werden muss: Das Wahlrecht, denn durch die Änderung der Ampel seien der Union schließlich 18 Stimmen verloren gegangen! Was die aufgeblasenen Bundestage mehr gekostet haben, wird ignoriert. Das könnte noch Tagesgeschäft sein – aber dass das erste Thema ein egozentrisches, machterhaltendes ist, in einer Welt, die brennt! Das ist so vorhersehbar wie unsäglich.

Dann gibt es ein unklares Hin und Her mit der Schuldenbremse, die jahrelang von der Union aufrechterhalten wurde – jetzt, wo sie das Geld brauchen könnten, scheint sie aufgeweicht werden zu können.

Mit dem Regierungsauftrag, in einer rundum brennenden Welt, tun Merz und seine Union das Folgende: Sie attackieren die starke und für die Demokratie kämpfende Zivilgesellschaft. Omas gegen Rechts, Foodwatch, Campact, und viele andere NGOs.

Als würde ich in Geschichtsbücher blicken, in Berichte über jene Jahre, in denen die Demokratie auf Raten ausgehöhlt wurde, in denen jede kritische Stimme als Bedrohung galt, bis es schließlich keine mehr gab. Ich frage mich: Werden wir es diesmal aufhalten können?

Nein, so handelt kein Kanzler mit Größe und Anstand, der versteht, dass unser Land Einigkeit braucht und er diese herbeiführen muss. So handelt ein trotziges Kind, das Rache an vermeintlichen Angreifern – tatsächlich einfach Kritikern – nimmt.

Wie soll so jemand unser Land durch die kommenden Krisen (Handelskrieg mit den USA!) führen? Wie soll er eine stabile Koalition bilden, der auch die SPD-Mitglieder zustimmen?

Ich denke nun seit Tagen darüber nach, wo es noch einen Platz für mich gibt in diesem Land und dieser Welt. Ich habe mich gefragt, wohin ich gehen könnte, falls es noch schlimmer und unerträglicher wird in diesem Land. Dann schäme ich mich. Schäme mich für den Gedanken ans Weglaufen. Wer bleibt dann noch, um etwas zu verändern?

Was es bedeutet, wenn alles, was gestern noch galt, morgen nicht mehr sicher ist – wir lesen gerade jeden Tag davon, da die USA sich in atemberaubendem Tempo verändert. Wenn sie anfangen, das Recht zu ignorieren, wenn sie anfangen, Kritik zu verbieten, wenn sie anfangen, Menschen verschwinden zu lassen, aus der Öffentlichkeit, aus der Mitte der Gesellschaft, aus dem Schutz der Demokratie.

Doch wir dürfen nicht vergessen: Es gibt keine Gewissheit, dass es so kommt. Noch nicht.

Und selbst wenn sie kommt, selbst wenn das schlimmste eintritt – es gibt niemals eine Gewissheit, dass wir aufhören dürfen zu kämpfen, im Gegenteil.

Es gibt noch immer uns. Und damit eine Chance. Eine Hoffnung. Ein Morgen.

Diejenigen, die vom Wahlergebnis und der drohenden Zukunft bitte enttäuscht wurden und trotzdem weitermachen. Diejenigen, die wissen, dass Demokratie keine Momentaufnahme ist, sondern etwas, das man jeden Tag verteidigen muss.

Ich werde nicht aufgeben. Ich werde immer weiter Gleichgesinnte suchen, Gruppen, in denen wir nicht nur über Angst sprechen, sondern über Möglichkeiten.

Wir werden uns organisieren, wir werden laut bleiben, wir werden unser Land nicht einfach preisgeben. Denn wenn wir schweigen, haben sie schon gewonnen.

Es wird schwer werden. Es wird Rückschläge geben, schlaflose Nächte, Momente, in denen der Kampf aussichtslos scheint. Aber wir haben Visionen, wir haben Ideen für die Zukunft. Und vielleicht, wenn wir nicht nachlassen, wenn wir weiter gegenhalten, dann können wir irgendwann in einer Gesellschaft aufwachen, in der wir alle wieder atmen können.

Morgen fange ich an. Mit euch an meiner Seite.

 
 
 

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